Editorial: Frei sein – zu welchem Preis?

Was ist übrig vom Mythos der „Freiheit“ der Freien? Nicht mehr viel, scheint es!

Massiv haben sich gesellschaftliche und berufliche Bedingungen auch für Medienschaffende verändert. Das gilt vor allem im Journalismus – der sich durch journalistische Qualität, Unabhängigkeit, kritische Tiefenschärfe und vielfältige lesernahe Darstellung auszeichnen sollte. Ob fest oder frei – den Anforderungen, crossmedial zu arbeiten und mehr Informationen in Netzgeschwindigkeit zu sichten, müssen sich alle stellen. Zeit für notwendige Recherche bleibt kaum, wird Freien nicht bezahlt. Zeit statt Zeile, die alte Forderung der IG Medien, ist so in weite Ferne gerückt. Bei der Jagd nach mickrigen Zeilengeldern, besonders im Lokalen, wird der Freien-Blick aufs Konto zur Qual.
Die Verteilungskämpfe einer wachsenden Zahl von Journalisten, darunter Tausender Selbstständiger nehmen stetig zu. In vielen Feldern sind journalistische Beiträge immer weniger gefragt. Ganze Themenseiten werden an kleine Fremdfirmen ausgelagert, die dann mehr oder weniger inhaltsgleiche Seiten an verschiedene Medien verkaufen – viel billiger versteht sich, als es bei den nach Tarif bezahlten Redakteuren kosten würde. Das Auftragsvolumen für freie Mitarbeit insgesamt sinkt (Titelthema: selbstständig).
Die Grenzen zwischen Anzeigen und redaktionellen Medienteilen verwischen. Gleichfalls haben PR-Meldungen – nicht zuletzt aufgrund des Zeitdrucks der Redakteure – leichtes Spiel, ungeprüft ins Blatt zu kommen. Das gilt gleichermaßen für ein Heer von Lobbyisten, die die Medien mit ihren Botschaften infiltrieren. Und Journalisten setzen ihnen zu wenig entgegen, überlassen ihnen weitgehend das Terrain.
Und die Bezahlung journalistischer Leistungen? Sie hinkt der Mehrarbeit hinterher. In den laufenden Tarifrunden für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen und Zeitschriften sowie für arbeitnehmerähnliche Freie sehen die Arbeitgeber keine Veranlassung für eine längst fällige bessere Entlohnung. Rückwärtsgewandt weigert man sich, Onliner gleichwertig nach dem Redakteurstarif zu bezahlen ( hier…, hier… und hier…).
Den Selbstständigen hat die Politik 2002 zumindest eine angemessene Vergütung in einem neuen Urhebervertragsgesetz zugebilligt. Deshalb ringt ver.di seit fünf Jahren mit den Verlegern um die Festlegung solcher gesetzeskonformen Honorare für Freie. Land ist in Sicht, aber es wird auch Zeit!
Wichtiger denn je scheint angesichts von journalistischem Auftragsschwund und nach wie vor schlechter Bezahlung, dass Selbstständige für ihre Rechte streiten und sich aktiv einmischen, wenn es um die Rahmenbedingungen für ihre Arbeit geht. ver.di – und für Journalistinnen und Journalisten die Berufsgruppe dju – stärken ihnen dabei den Rücken. Der 22. Journalistentag am 29. November bietet Möglichkeiten, die Diskussion aus dem vergangenen Jahr über den „Journalismus heute – im Spannungsfeld zwischen Produktivität und Qualität“ fortzusetzen.

Karin Wenk,
verantwortliche Redakteurin

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