Neue Regeln für Journalismus-Nachwuchs

Konferenz der Volontärinnen und Volontäre, Gruppenbild

Die jüngste alljährliche Konferenz der Volontärinnen und Volontäre aller ARD-Anstalten war zu Gast beim MDR in Leipzig.
Foto: MDR/Max Handke

Wer ein journalistisches Volontariat machen wollte, musste bislang viele Voraussetzungen erfüllen. Ein abgeschlossenes Hochschulstudium, am besten mit Auslandsaufenthalt, war bei Bewerbungen ein absolutes Muss. Das hat sich drastisch geändert. Denn zum einen interessiert sich der  gut qualifizierte Nachwuchs weniger für den Journalismus. Das Motto „Irgendwas mit Medien“ zieht nicht mehr – jedenfalls nicht in die Redaktionen. Und zum anderen sollen die bisher so einheitlich besetzten Redaktionen vielfältiger werden – in jeder Hinsicht.

Zu homogen seien die Redaktionen besetzt. Diese Kritik gab es in den vergangenen Jahren immer öfter. Auch der M-Podcast berichtete über den „Journalismus von Polohemden“. Viele Redakteur*innen, viele Freie im Journalismus, stammten aus gebildeten und oft gutsituierten Elternhäusern, die sie nicht nur beim Studium, sondern auch bei den verlangten und meist unbezahlten Praktika finanziell unterstützen. Fälle wie die norddeutsche Chefredakteurin, die sich kürzlich auf Linked-In freute, dass sie nun endlich die letzte Rate ihres Studienkredits getilgt hatte, dürften zu einer Minderheit gehören.

Gegen unbezahlte Praktika

Mit unbezahlten Praktika, keinen oder nur kurzfristigen Übernahmen nach dem Volontariat bei Sendern und Verlagen, geringen Einstellungschancen sogar für Absolvent*innen der berühmten Journalistenschulen, Entlassungswellen in Zeitungsredaktionen, Zusammenlegungen von Titeln und den für die meisten Freien geringen Zeilenhonoraren haben journalistische Arbeitgeber jungen Menschen fatale Signale gesandt.

In anderen Medienbereichen wie der Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung lässt es sich besser leben und verdienen. Nicht nur zu einheitlich waren die Bewerber*innen, es wurden einfach zu wenige. Die gewohnt große Auswahl schwand. Die unbezahlten Praktika allerdings auch, weil sie zu unattraktiv geworden waren und Organisationen wie die dju in ver.di, der DJV und die Jugendpresse Deutschland den jungen Menschen den Rücken stärkten, sich das nicht mehr gefallen zu lassen, denn „Du bist mehr wert“, wie ein Motto der „Praktika-Offensive“ hieß.

Neue Voraussetzungen

Der Mangel an Bewerbungen und Vielfalt in den Redaktionen zwingen nun dazu, neue Gesellschaftsschichten für den Journalismus zu erschließen. Die Ansprüche an die Ausbildung der Bewerber*innen werden verschoben. Die Sicht auf die Wertigkeit von Abschlüssen und Fähigkeiten verändert sich. Schaut man auf die aktuellen Ausschreibungen des SWR und der RTL-Journalistenschule, dann reicht jetzt statt des abgeschlossenen Hochschulstudiums auch Abitur, Fachabitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Wichtig sind den Sendern nach wie vor „erste praktische Erfahrung im Medienbereich“, was aber nicht mehr unbedingt Praktikum heißen muss. Es darf gerne auch ein eigener Kanal auf Youtube, Instagram oder TikTok sein.

Reisestipendium als Anreiz

Die Deutsche Journalistenschule (DJS) in München hat zur Nachwuchsgewinnung 2023 ein ganz eigenes Programm aufgelegt. In zehn deutschen Städten ermutigt sie mit kostenlosen Workshops und Reisestipendien junge Menschen, den Schritt in die Branche zu wagen: „Wenn du eine Perspektive oder Erfahrungen mitbringst, die im Journalismus bisher wenig vorkommen, dann sind unsere Kickstarter-Workshops richtig für dich. Zum Beispiel, weil du aus einer Arbeiterfamilie kommst, in Armut aufgewachsen bist, eine Einwanderungsgeschichte hast, in Ostdeutschland aufgewachsen bist, mit einer sichtbaren oder nicht sichtbaren Behinderung lebst oder Diskriminierung aufgrund deines Glaubens, deines Aussehens, deiner sexuellen Orientierung oder deiner Geschlechtsidentität erlebt hast.“ Wenn es finanziell möglich ist, soll das Programm #dukannstjournalismus weiterlaufen.

Regionalen Nachwuchs fördern

Mit einem zweiten Programm will die DJS den Nachwuchs suchenden Regionalzeitungen helfen. Mit „Regionalfellowships“ möchte die DJS ihre Schüler*innen überzeugen, bei „qualitätsbewussten Regionalzeitungen“ „an der digitalen Transformation von zukunftsorientierten regionalen Häusern mitzuwirken“. Ella Schindler, Volontärsausbilderin bei den Nürnberger Nachrichten und der Nürnberger Zeitung und Henriette Löwisch, Leiterin der DJS, berichteten in der Sendung „@mediasres“ des Deutschlandfunks über dieses Konzept, das die Nachwuchssorgen der Regionalzeitungen mindern soll. Nachwuchsmangel in der Regionalberichterstattung versucht Madsack mit einem eigenen „Volontariat Lokalredaktion“ anzugehen. Regionalvolontariate, neben „Programmvolontariaten“, wie es beim NDR heißt, gibt es auch bei NDR und MDR 

Neuer Volo-Ratgeber von ver.di erschienen

Volo-Ratgeber 2024 von ver.di

Ella Schindler und Henriette Löwisch haben sich auch im neuen „Volo-Ratgeber“ der dju und Fachgruppe Medien, Journalismus und Film in ver.di über die Nachwuchsgewinnung geäußert. Schindler, die selbst in der Ukraine groß geworden ist, legt nicht nur auf Diversität bei ihren Volos Wert.

Sie schaut auch auf die Nebenjobs der Bewerber*innen: „Denn: Im Journalismus brauchen wir Menschen, die wissen, wie vielfältig das Leben ist. Wer etwa in der Gastronomie längere Zeit gearbeitet hat, ist sicherlich belastbar und hat auch gelernt, mit Menschen verschiedenen Schlags umzugehen. Das sind Fähigkeiten, die in unserem Beruf genauso wichtig sind wie das Sprachgefühl.“ Auch Löwisch findet: „Je mehr Vielfalt, desto besser die Lehrredaktion.“ Sie sucht mit der Auswahlkommission danach, „wer hat originelle Ideen, kann auch mal um die Ecke denken, passt aber trotzdem in ein aus den unterschiedlichsten Charakteren bestehendes Team.“

Volo jetzt auch in Teilzeit

Einen neuen Weg geht die Günter-Holland-Journalistenschule (Augsburger Allgemeine, Main-Post). Sie bietet ein Teilzeit-Volontariat an, um auch jungen Eltern die Ausbildung zu ermöglichen, allerdings zum entsprechend reduzierten Volo-Gehalt. Die gewünschte, aber noch nicht erreichte Diversität in den Redaktionen bezieht sich nicht nur auf soziale oder geographische Herkunft oder sexuelle Orientierung. Auch die Vorbildung spielt eine Rolle. Bei den Babyboomern, die jetzt in großer Zahl ins Rentenalter kommen, überwogen Studienfächer wie Germanistik, Geschichte, Politik oder Kommunikationswissenschaften.

Allerdings, so Bernhard Goodwin vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München im „Volo-Ratgeber“, sinke auch hier das Interesse der Abiturient*innen: „Wir waren in der Branche immer gewohnt, uns die Studierenden aussuchen zu können. Jetzt suchen die uns aus.“

Mehr Bedarf an Klimajournalismus

Anfang des Jahrtausends wurden mehr Volos mit juristischer oder wirtschaftlicher Vorbildung gesucht. Inzwischen hat sich das gewünschte Spektrum auf die Naturwissenschaften erweitert. Die Klaus-Tschira-Stiftung unterstützt junge Leute aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) beim Einstieg in den Journalismus wie etwa im Programm „Tiefgang-Talente“ an der DJS. Die Energiewende stellt neue Ansprüche an das technische Verständnis bei Journalist*innen.

Einen besonderen Fokus auf Klimajournalismus hat die Kölner Journalistenschule gelegt. Hatten ihre Schüler*innen bisher die Möglichkeit zur Kombination von Journalismus-Ausbildung mit einem Studienfach an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln, so können sie jetzt im Bachelor auch Geophysik und Meteorologie wählen und „Physics of the Earth and Atmosphere“ im Master.

Die Funke Mediengruppe hat Ende November ein „Klima-Volontariat“ eingeführt. Zur Ausbildung des bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) angesiedelten Volontariats gehört eine externe Station wie etwa beim renommierten Wuppertal-Institut, um die jungen Leute fit zu machen für die digitale Klima- und Umweltredaktion des Verlags. Beide Ausbildungswege, an der Journalistenschule und im Volontariat, sind nicht nur im Interesse der Redaktionskompetenz. Sie sind zielgerichtete Angebote, um Journalismus für junge Menschen in den Communities von „Fridays for Future“ und ähnlicher Organisationen interessant zu machen. Wie erfolgreich, werden wir sehen.


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