Journalistisches Arbeiten erfordert nicht nur handwerkliche Fertigkeiten, sondern auch „einen analytischen Blick auf den Medienwandel“, so der Passauer Kommunikationsforscher Michael Harnischmacher. Diesen Herausforderungen begegnet die Journalistenausbildung in Deutschland und anderen westlichen Demokratien trotz ähnlicher Mediensysteme mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – sei es bei der Akademisierung des Berufs oder beim Umgang mit Innovationen.
„Studieren Sie lieber etwas Vernünftiges!“ Diesen Rat aus Chefredaktionen scheinen die meisten Journalist*innen in Deutschland immer noch zu beherzigen. Nach der Worlds-of-Journalism-Studie, die zwischen 2012 und 2016 Daten in 67 Ländern erhob, haben hierzulande nur 37 Prozent von ihnen einen Studienabschluss in Journalistik oder Kommunikationswissenschaften. Nur in sechs Ländern ist der Anteil noch niedriger. Fragt man nach einem akademischen Abschluss allgemein, schneiden deutsche Journalist*innen mit 77 Prozent etwas besser ab, liegen aber immer noch im unteren Viertel.
Warum in Deutschland die Akademisierung des Journalismus hinterherhinkt
Mit der Akademisierung des Journalistenmetiers habe man sich in Deutschland „schwer getan und hier herrscht eher so ein Kuddelmuddel, da der Berufszugang ja frei sein soll“, erläutert Harnischmacher auf Anfrage von M. In Deutschland seien journalismusbezogene Studienangebote „nur einer unter vielen möglichen Wegen in den Beruf“, in den USA aber „der dominierende und angesehene“ Qualifikationsweg, stellte er 2010 nach einem Vergleich der Journalistenausbildungen in beiden Ländern fest.
Den historischen Gründen ist Journalistikprofessor Horst Pöttker nachgegangen: „Die Idee, nicht nur Ärzte, Richter oder Ingenieure, sondern auch für den Journalistenberuf Begabte in wissenschaftlichen Einrichtungen auszubilden, ist in den Ländern des Okzidents etwa um die gleiche Zeit aufgetaucht: an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als ein
Aspekt der Professionalisierung des Journalismus.“ In den USA förderten Presseverbände und einige Prominente wie der Verleger Joseph Pulitzer die Idee der wissenschaftlichen Journalistenausbildung. 1908 wurde an der Universität von Missouri die erste „School of Journalism“ eingerichtet. In Deutschland gründete der Nationalökonom und Wirtschaftsjournalist Karl Bücher 1916 in Leipzig das erste Institut für Zeitungskunde an einer Universität. Auch in Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und sogar Russland habe man schon vor dem Ersten Weltkrieg die Idee wissenschaftlich fundierter Berufsbildung für Journalist*innen verfolgt.
In Deutschland fand diese Entwicklung mit dem Erstarken eines Gesinnungsjournalismus in den 1920er Jahren und seinem Missbrauch als Propagandainstrument durch die Nationalsozialisten ein jähes Ende. Pöttker vertritt die These, dass sich in den angelsächsischen Ländern der Journalismus früh „von der Parteipolitik gelöst“ habe und die US-Verleger entdeckten, dass man mit nicht-parteipolitischen Informationen ein breiteres Publikum erreichen und bessere Geschäfte machen konnte. So überließen sie die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter*innen den Universitäten, die für Sachlichkeit und Unabhängigkeit standen und den Medienbetrieben zudem Ausbildungskosten ersparten. Anders deutsche Verleger und Chefredakteure, die von journalistischen Mitarbeitenden erwarteten, dass sie die „Tendenzen ihrer Blätter vertreten, und das hätte die Universität ihnen austreiben können“.
Eine hochschulgebundene Journalistenausbildung habe es in Deutschland erst wieder seit den 1970er Jahren gegeben, als „in Verbindung mit Journalistenverbänden Standards für Volos und die Akademisierung des Berufs“ gefordert worden seien, so Harnischmacher. Journalistikstudiengänge entstanden in Dortmund, München, Eichstätt. Nach der Wende kam das traditionsreiche Leipzig hinzu – zu DDR-Zeiten zentrale Journalistenausbildungsstätte. Mit der Medienkrise um die Jahrtausendwende und dem Bologna-Prozess, der Ausbildungen europaweit vereinheitlichen sollte, wurden Journalistik-Studiengänge an den Universitäten heruntergefahren, an Fachhochschulen aber neue aufgebaut. Es gibt mittlerweile viele spezialisierte Angebote wie Online- oder Fernsehjournalismus, aber auch gemeinsame Journalistik- und Public-Relations-Studiengänge. In Passau sei z. B. vor zwei Jahren ein neuer Studiengang „Journalistik und strategische Kommunikation“ eingerichtet worden, der gemeinsame Grundlagen vermittelt und dann eine Spezialisierung in Journalismus und PR ermöglicht. Das sei ein Modell, das sich an vielen Fachhochschulen finde.
Innovative Journalistenausbildung durch analytischen Blick auf den Medienwandel
Wegen der Umbrüche in der Medienwelt werde Forschung in der bisher eher praxisbezogenen Journalistenausbildung seit etwa 20 Jahren immer wichtiger, so Harnischmacher. Das Grunddilemma, mit dem die Journalistenausbildung seit Jahren international konfrontiert sei, bringe US-Forscherin Dianne Lynch auf den Punkt: „How do we educate students for a media world we honestly can’t imagine?“ Das sei auch eine Herausforderung für Ausbilder*innen, denn es reiche nicht mehr, Praktiker*innen ins Seminar einzuladen, weil die nur erzählen könnten, wie es früher war.
Best-Practice-Beispiele in der Journalismusausbildung, die dem Medienwandel gerecht werden, gebe es besonders in Skandinavien, etwa an der Universität von Tampere in Finnland, oder in den Niederlanden, wo z.B. die FONTYS Hogeschool „ein sehr gutes und vor allem oft innovatives Journalismus-Programm“ bietet, so Harnischmacher. Dort sei das Unternehmertum ein wichtiger Aspekt, denn immer weniger Journalist*innen arbeiten im traditionellen Newsroom und immer mehr sind freiberuflich tätig. In den Niederlanden werde nun nicht einfach crossmediales Arbeiten im Newsroom geübt, sondern das Ganze in ein unternehmerisches Konzept gepackt. Studierende gründen zu Beginn des Semesters in Gruppen kleine Start-ups, suchen Partner für die Anschubfinanzierung, um dann mit ihren journalistischen Produkten auf den Markt zu kommen.
Auch aus Großbritannien, wo die universitäre Ausbildung eher eine kulturwissenschaftliche Ausrichtung habe, kämen innovative Ansätze, so Harnischmacher. Dort gewinne etwa „community journalism“ wieder an Bedeutung. Das trage dem Trend zur Rückbesinnung auf den Lokaljournalismus Rechnung.
Die freie Journalistin und Forscherin Antje Glück berichtet von einer weiteren Neuerung aus England, die zeige, „wie wichtig Empathie und Emotionen im professionellen Journalismus zukünftig sein könnten“. Die Universität Bournemouth bietet zusammen mit dem Londoner „Dart Center for Journalism and Trauma“ seit rund sieben Jahren Ausbildungskurse für Studierende an, in denen sie zu sensibler Katastrophenberichterstattung angeleitet werden – per Rollenspiel und in einem realen Berichterstattungsprojekt. Das fördere die emotionale Kompetenz zukünftiger Journalist*innen. „Opfer von Traumata und Gewalt sensibel zu befragen – Menschen mit marginalisierten Stimmen, schutzbedürftige Personen – erscheint zunehmend als eine Kernkompetenz in der journalistischen Ethik und den Standards der Berufspraxis“, so Glück.
In Deutschland finden diese innovativen Ansätze vereinzelt Wiederhall. Einige Beispiele: Neue unternehmerische Konzepte werden laut EU-Forschungsprojekt Newsreel inzwischen auch an deutschen Universitäten thematisiert, aber nicht so praxisnah wie in den Niederlanden und mit mehr Vorbehalten. Die Deutsche Journalistenschule München hat ein Unterrichtsmodul zu Trauma und Journalismus entwickelt. Die Plattform „Nicht Schaden“ , die Mitarbeiter*innen von Deutsche Welle, WDR oder Axel Springer Akademie im Umgang mit traumatisierenden Ereignissen schult, hatte vor einigen Jahren für Studierende an der Uni Dortmund Seminare zum Thema mit angestoßen. Vom Dortmunder Institut für Journalistik ging auch das Weiterbildungsprojekt „Initiative Lokaljournalismus“ (INLOK) aus. Auf die Vernetzung und Weiterbildung von Lokaljournalist*innen zielt CORRECTIV.lokal, ein Projekt des Recherchenetzwerks Correctiv, das wiederum vom britischen Bureau Local inspiriert wurde. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich!