Editorial: Den Konflikt wagen

Was ist journalistische Arbeit noch wert? Offenbar immer weniger!? „Leistungsverdichtung, Stellenabbau, Knebelverträge und schlechte Honorierung von Freien, die Filetierung von Zeitungshäusern, Ausgründungen, der massive Einsatz von Leiharbeit sowie wachsende Tarifflucht“ prägen derzeit den Arbeitsalltag in der Medienbranche, so Vize-ver.di Frank Werneke auf dem 23. Journalistentag der Medienfachgruppe in ver.di.

Der fand wie immer am letzten Novembersonnabend des Jahres in Berlin statt und die Referenten suchten analytisch, praktisch und exemplarisch zusammen mit den 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach Lösungen.
Die perfekte alles umfassende Antwort hatte indes keiner in der Tasche. Jedoch: Wenn Arbeit, angesichts eines Niedriglohnsektors, der sich „ölfleckartig“ auch im Medienbereich ausbreite, „billig wird wie Dreck“, hilft letztlich „nur kollektiver Druck“ – so die kämpferische Botschaft von Detlef Hensche, dem letzten IG Medien-Vorsitzenden. „Zunehmender Polarisierung und wachsender Armut kann nur mit kollektiver Selbsthilfe entgegengewirkt werden“, betonte er in seinem Impulsreferat. Spannende Beispiele machten Mut, etwa die ersten Erfolge der Kampagne aus Mecklenburg-Vorpommern „Unser Land braucht seine Zeitungen – Qualität und Vielfalt sichern“. Die Initiative belegt laut Robert Haberer von der Ostseezeitung: „Ja, es geht was. Wir müssen den Konflikt wagen“.
Dass qualitative und unabhängige journalistische Arbeit offenbar einem Werteverfall im demokratischen Deutschland unterliegt, zeigt auch der „Fall Brender“. Kurz vor der Entscheidung des ZDF-Verwaltungsrates, den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender nicht weiter zu verlängern, sagte der für den Journalistentag avisierte Referent ab. Politische Einflussnahme und haarsträubendes Machtgerangel aus der Unions-Liga wischten das Votum des ZDF-Intendanten, von Staatsrechtlern und vielen Bürgern beiseite. Sie alle hatten sich für den unabhängigen Journalisten und einen staatsfernen Rundfunk stark gemacht. (siehe Titelthema und Kolumne)
Die leb- statt zaghaften Debatten in Berlin kamen bei den aus der ganzen Bundesrepublik angereisten Kollegen sehr gut an, ergab eine erste Evaluation. So ist das letzte Highlight 2009 Ansporn für die Arbeit der ver.di-Medienfachgruppe in 2010. Zum Jahresausklang gibt’s in M noch den letzten Teil der Serie „20 Jahre danach“ aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, mit einem weiteren Überblick, wo Madsack, Burda, Springer … im „Osten“ unterwegs sind.
Außer spannende Lektüre mit der aktuellen Ausgabe wünsche ich allen Leserinnen und Lesern von M einen weihnachtlichen Dezember, der uns als Bescherung mehr Zeit zum Nachdenken und zur Entspannung bringen soll sowie Kraft und Gesundheit für unsere „wertvolle Arbeit“ 2010. Die nächste M-Ausgabe erscheint im Februar. Und weil wieder einmal der Platz in M nicht ausreichte, erscheint diesmal die Buchrezension zu „Meinungsmache“ von Albrecht Müller ausschließlich auf der M-Webseite.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »

Spaniens Justiz kämpft gegen Hetze im Netz

Spanischen Staatsanwälte verstärken ihre Ermittlungen zu Hassverbrechen in sozialen Medien. Denn Rechtsextreme und Rechtspopulisten hetzen zunehmend im Internet. Sie machen Stimmung gegen Zuwanderung, Pressevertreter*innen und einzelne Politiker*innen. Auch das Strafrecht soll daher verschärft werden. Doch das könnte gerade für Medienschaffende zum Problem werden.
mehr »