Editorial: Digitale Machtspiele

Kaum eine Branche befindet sich derzeit in so spannenden Umbrüchen wie die Medien. Für Deutschland und ein demokratisches Europa stehen damit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch medienpolitische Fragen auf der Tagesordnung. Denn die digitale Zeitenwende ist nur scheinbar rein technisch-technologisch, sie birgt Chancen und Risiken – für die individuelle wie die gesellschaftliche Kommunikation (Titelthema: Funksignale).

Unzählige Programme und Dienste können schneller und gleichzeitig auf teils völlig neuen Wegen zu den Menschen gelangen, die darin interaktiv mitmischen. Individuelle Bedürfnisse können noch individueller befriedigt werden. Das jedoch setzt entsprechende attraktive Inhalte und „Mehrwerte“ für den Konsumenten voraus – nicht zuletzt, um ihn vom Free- ins Pay-TV zu locken. Zugleich ermöglicht die Digitalisierung neue Werbeformen, aber auch konzentrierte Einflussnahme, weil der Content vieler verschiedener Medienprodukte nun aus einer Hand kommt – Crossmedialität überschreitet traditionelle Grenzen. Da erscheinen Verwerfungen à la Product Placement wie ein Abgesang der alten analogen Welt und zugleich schauriger Ausblick in die neue, digitale Werbewelt (mehr …).

Und wo hat in diesem Szenario der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Platz? Kürzungen von Politmagazinen (mehr …), Verbannung anspruchsvoller TV-Formate in Randzeiten, das Kopieren von Dudelwellen, Selbstkommerzialisierung, das Mitbuhlen bei Werbung und Sponsoring um jeden Preis können nicht dessen Zukunft sein.

Zumal auf der anderen, der privaten Seite die Protagonisten aufrüsten – der Springer-Deal mit ProSiebenSat.1-Besitzer Haim Saban hat eben nicht nur eine ökonomische Seite. Tendenzen der Medienkonzentrationen sind eben auch Tendenzen zu Kommunikationsmacht. Die Medienregulierer stehen vor völlig neuen Anforderungen, wollen sie – jenseits von wirtschaftlicher Kartellkontrolle – Meinungsvielfalt sichern (Interview …).

Wie kann deren Verletzung, also Meinungsmacht, definiert und verhindert werden? Haben die Aufsichtsgremien sowohl im privaten wie auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunkbereich eine entsprechende Handhabe, ihrem Auftrag gerecht zu werden? Sind demokratische Gremien wie Rundfunkräte in der aktuellen Aufstellung wirksame Kontrolleure im Auftrag der Gebührenzahler? Ist das jetzige Modell der Gebührenfinanzierung noch zeitgemäß? Wird die Lockerung der Brüsseler Richtlinien im Product Placement zum Holzweg? Erfährt das neue Informationsfreiheitsgesetz für Bundesbehörden bald eine mutigere Ausgestaltung und wann wird es in allen Bundesländern ein IFG geben? (mehr …)

Brennende Fragen, die nicht nur ökonomisch oder moralisch, sondern auch von Parlamenten und Politikern beantwortet werden müssen, die sich ihrer Verantwortung für die Gestaltung gesellschaftlicher Kommunikation bewusst sein sollten. Umso unverständlicher ist es, dass im gerade entbrannten Wahlkampf um die Regierungsmacht in Deutschland keine Partei Medienpolitik zum Thema macht? Will man sich mit den „Medienmächten“ nicht anlegen?

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