Johannes Nitschmann

Journalistischer Ausnahmezustand

Die apokalyptischen Reiter sind los. In deutschen Zeitungshäusern und Sendeanstalten haben die barbarischen Terroranschläge auf die USA eine heillose Hybris ausgelöst. An den Schreibtischen hat der Superlativ die Besonnenheit ersetzt. "Machen wir uns nichts vor, es ist der dritte Weltkrieg", dröhnt "Bild". Auf dem Titelblatt, wo sonst die Spindluder herumlungern und Käufer ködern, frömmeln plötzlich die Bengel vom Boulevard: "Großer Gott, steh uns bei". Der Springer-Journaille ist nichts mehr heilig. Vorn im "Bild"-Signet werden von dem Fachblatt für politischen Anstand die Stars-and-stripes gehisst, hinten komponiert Hausdichter Franz-Josef Wagner ein "Requiem für New York":…
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„Heute gegen die Sozen, morgen gegen die Schwarzen“

Veteranentreffen beim NDR. Von Gerhard Löwenthal bis Peter Merseburger sind die politischen Magazin-Macher der letzten Jahrzehnte auf das Studiogelände nach Hamburg-Lokstedt gekommen. Zum 40-jährigen Geburtstag von "Panorama" erweisen sie "der Mutter aller Polit-Magazine" (taz) ihre Referenz.
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Flucht nach vorn

Der Frankfurter "Spiegel"-Korrespondent Wilfried Voigt ist ein Mann mit Manieren. Im Mai dieses Jahres wurde Voigt ein Stapel dubioser Rechnungsbelege aus der Buchführung der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion zugespielt. Die Belege nährten den Verdacht, dass der Mainzer CDU-Oppositionsführer Christoph Böhr seit Jahren in die Fraktionskasse gegriffen hatte, um die laufende Parteiarbeit der klammen Landes-CDU zu bezahlen. Was ein klarer Verstoß gegen die einschlägigen Fraktionsgesetze und die Landesverfassung wäre.
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Journalismus aus der Jauchegrube

Gegen alle Regeln journalistischer Recherche-Kunst hatte der "Stern" hastig eine Titelstory über "Das einsame Leben und Sterben der Hannelore Kohl" ins Blatt gehoben und seine Druckmaschinen zwei Tage früher als gewöhnlich angeworfen. In Serie werden auf 15 Magazin-Seiten windige Kronzeugen und trübe Quellen abgeschöpft, um an einer Legende über "die politische Dimension dieses Freitods" zu stricken. Journalismus aus der Jauchegrube.
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Über Politiker-Psyche und Unternehmermacht

Keine deutsche Zeitung, sondern der englische "Guardian" enthüllte als erstes Blatt, dass die Lufthansa nicht nur Probleme mit ihren Piloten, sondern auch mit der Presse hat. Weil dem Flugunternehmen die Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) über den Pilotenstreik quer kam, reduzierte es selbstherrlich die Bordauflage des Münchner Blatts um über 10000 Exemplare - "aus Gründen der Medienvielfalt", wie die Kranich-Crew höhnisch verlautbarte.
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„Das letzte Tabu“

Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hatte "das Sturmgeschütz der Demokratie" anfang vergangenen Jahres die Verstrickungen des weltweit größten Sportverbandes mit dem NS-Regime ins Visier genommen. Im unverkennbaren "Spiegel"-Slang ("Papa Gnädigs treue Enkel") enthüllte das Hamburger Nachrichten-Magazin, dass etliche Alt-Nazis zum engsten Führungszirkel des 1949 wieder gegründeten DFB gehört hätten. Urdeutsche Karrieren eben, schließlich sei die Wiederauferstehung brauner Seilschaften ein Wesensmerkmal der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. "Dem DFB diese Personalie vorzuwerfen wäre billig", schrieb der "Spiegel", das Problem…
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Ungeordneter Rückzug

Verteidigungsminister Scharping hat seinen juristischen Kampf gegen einen ihn als Kriegslügner schwer belastenden WDR-Film nach nur kurzem Scharmützel aufgegeben - Über die Gründe schweigt er sich aus
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Über Tabubrüche und Desinformation

Unter Berliner Journalisten verdichtet sich ein schlimmer Verdacht: Die Medien sind während des Kosovo-Krieges von der rot-grünen Bundesregierung offenbar nach Strich und Faden belogen worden. "Es war der Höhepunkt an Desinformationspolitik und Manipulation dieser Bundesregierung", empört sich Jens König, Leiter der "taz"-Parlamentsredaktion.
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„Und fertig ist die Macht“


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Über den „Klatschklimawechsel und „Fünf-Mark-Nutten“

Warum Bundeskanzler Gerhard Schröder der Darling vieler Chefredakteure ist - und es mit der Unterhaltung aufwärts geht FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher mühte sich sichtlich ab. Der versierte Rhetor geriet beinahe ins Stammeln, als er zu begründen hatte, weshalb "maßgebliche Chefredakteure Deutschlands" - von "Spiegel"-Aust bis "Focus"-Markwort - Bundeskanzler Gerhard Schröder in diesem Jahr den "Deutschen Medienpreis" zuerkannt haben. Bei allen rhetorischen Verrenkungen blieb Laudator Schirrmacher eine plausible Antwort am Ende schuldig. Und der Geehrte wurde pampig: Nie zuvor habe er eine Laudatio gehört, wunderte sich Schröder, "mit neun Zehnteln ohne ein Wort über den zu…
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„Keine Geheimkunst“

Hans Leyendecker, eine Art Nestor des investigativen Journalismus in Deutschland, fasst sich an den Kopf. "Die Chefredakteure sagen mir immer, wir recherchieren doch alle, ein Leben lang." Alles Recherche oder was? In den redaktionellen Chefetagen, spottet der Top-Enthüller der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), "besteht Recherche darin, ohne Hilfe der Sekretärin eine Telefonnummer heraus zu finden".
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Über „Thesen-Journalismus“ und „Kampfaufträge“

Bei der Springer-Tageszeitung "Die Welt" sind die Rechtsausleger offenbar einer neuen nachrichtlichen Arbeitsform verfallen, die redaktionsintern vornehm als "Thesenjournalismus" bezeichnet wird. "Zuerst wird das Recherche-Ergebnis festgelegt, das nennt man ,These'.
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Medienkolumne: Proporz, Rücksichten, Empfindlichkeiten

Was eigentlich muss einer können, um Chefkorrespondent eines öffentlich-rechtlichen Senders zu werden? Darüber wird in den Funkhäusern lebhaft debattiert, seit MDR-Chefkorrespondent Georg Schmolz seinen ersten Kommentar für die "Tagesthemen" verfasst hat. Nun ist Schmolz alles andere als ein journalistischer Anfänger. Bevor er zum Chefkorrespondenten beim Mitteldeutschen Rundfunk avancierte, war er immerhin Chefredakteur des deutsch-französischen Kooperationssenders Arte. "Könnten bei einer solchen Karriere", fragt SZ-Autor Herbert Riehl-Heyse bange, "dieselben Mechanismen eine Rolle spielen, die im Programm manchmal das Qualitätsbewusstsein beseitigen, aus lauter Rücksicht auf…
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„Ich hatte einfach Schiss“

Die Anmoderation war mehr als ungewöhnlich. "Viele - auch hier in der ,Panorama'-Redaktion - möchten, dass dieser Mann Außenminister und Vizekanzler bleibt", kündigte Moderatorin Patricia Schlesinger einen Beitrag mit "neuen Zeugen" und "brisanten Bildern" über Joschka Fischers wilde Jahre als Frankfurter Straßenkämpfer an. Das redaktionelle Bekenntnis zum Vizekanzler ist ein beispielloser Vorgang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
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Über Feuerwerkskörper und Knallfrösche

Vermutlich lag es an der journalistischen Abendstimmung, dass der 59-jährige Regionalreporter Bert Hauser bei seinem Abschied vom Südwestrundfunk (SWR) das Bild seines Senders arg düster gezeichnet hat. Dennoch ist Hausers Grundbefund ziemlich erhellend für die allgemeine Misere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der politische Druck der Parteien, klagte der scheidende SWR-Reporter anhand konkreter Vorgänge, "blockiert die Arbeit in unserem Haus an vielen Stellen und provoziert den Fatalismus".
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Mainz wie es sinkt und lacht

Ein unbestechlicher Kronzeuge für unabhängigen Journalismus ist Alexander Niemetz kaum. Seine dubiosen Kontakte zu PR-Firmen machten den Moderator des "heute journals" beim ZDF am Ende mehr zu schaffen als seine politische Vergangenheit bei der hessischen CDU. Dies freilich ist noch kein Grund, die von Niemetz jetzt zu seinem Ausstand der "Zeit" eröffneten Einblicke in den Mainzer Sender als rüden Racheakt zu tabuisieren und totzuschweigen. Immerhin ist Niemetz ein journalistischer Profi.
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